„Durchatmen, Blick schärfen, neue Blickwinkel, erholen, sich selbst spüren"


Dem Alltag entfliehen, sei es nur für zehn Minuten oder für ein ganzes Jahr. Dieser Wunsch treibt viele Menschen um, doch oft fehlt der Mut oder das Wissen für die Umsetzung. Daniela Scholl hat es sich mit ihrer „AuszeitAgentur“, mit Sitz in Frankfurt, zur Aufgabe gemacht, Menschen bei ihrem Wunsch nach einer Auszeit zu unterstützen. Ein Interview über Veränderungen, geschärfte Blicke, Stehenbleiben und neues Selbstvertrauen.

Break Away: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die „AuszeitAgentur“ zu gründen?

Daniela Scholl // (c) Dirk Ostermeier
Daniela Scholl: Im Jahr 2007, während der Finanzkrise, „bat“ meine damalige Firma jeden, unbezahlten Urlaub zu nehmen. Ich wollte sehr gerne, und keiner konnte mir bei Fragen und Ideen weiterhelfen. Da fragte ich mich, wie das wohl die anderen Menschen da draußen machen, und die Idee der Auszeitagentur war geboren.

Break Away: Wie ist Ihre persönliche Definition von Auszeit?

Daniela Scholl: Alles, was den Alltag für mehr als 10 Minuten unterbricht.

Break Away: Ist es in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich, sich im normalen Alltag eine Auszeit zu nehmen?

Daniela Scholl: Ja, das ist möglich. Ein Tag ohne Handy kann für den Einen, der Nachmittag am See für den Anderen eine Auszeit sein.

Break Away: Wie könnte eine Auszeit im Alltag aussehen?

Daniela Scholl: Alles, was den Alltag unterbricht, das heißt für mich, kein Ritual wie Yoga am Morgen, sondern ein bewusstes Stehenbleiben und Andersmachen. Für mich persönlich sind das oft Stunden, in denen ich etwas tue, was ich nie zuvor gemacht habe. Letztes Jahr war es zum Beispiel ein Meerjungfrauenschwimmkurs. Oder eine Albernheit, die ich mir sonst nicht zugestehe - oder mich traue - wie Hobby Horsing (Anm. d. Red.: Dressur und Springreiten auf einem Steckenpferd). Es darf aber auch etwas ganz normales sein, wofür sonst die Zeit fehlt: auf dem Markt einkaufen, daraus etwas Leckeres kochen und das Essen genießen.

Break Away: Hat der Wunsch, sich eine Auszeit zu nehmen, in den letzten Jahren zugenommen?

Daniela Scholl: Ich denke, je schneller die Veränderungsgeschwindigkeit des Alltags, desto größer der Wunsch nach Stehenbleiben und Andersmachen.

Break Away: Welche Veränderungen bringt eine Auszeit mit sich?

Daniela Scholl: Durchatmen, Blick schärfen, einen neuen Blickwinkel einnehmen, erholen, sich selbst spüren. Eine nachhaltige Veränderung tritt ein, wenn ich auch etwas nachhaltig verändere. Da ist jeder unterschiedlich im Wahrnehmen, Machen und in den Erwartungen an sich selbst.

Break Away: Wie sind die Reaktionen des Arbeitsgebers/der Familie auf den Wunsch einer Auszeit?

Daniela Scholl: Unterschiedlich. Die meisten, so meine Kunden, reagieren positiv und gönnen dem Auszeitnehmer diese Zeit.

Break Away: Spielt Geld eine Rolle beim „Auszeit nehmen“?

Daniela Scholl: Bedingt. Wenn ich im Alltag verschuldet bin und kaum über den Monat komme, wird es schwierig. Aber während einer Auszeit fast kostenneutral zu leben ist möglich. Das ist natürlich auch abhängig vom gewählten Modell, wie dem Arbeitszeitkonto oder unbezahltem Urlaub.

Break Away: Welche Auszeit eines Kunden ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Daniela Scholl: Die meiner ersten Kundin: eine Auszeit in New York war ihr Kindheitstraum. Umgesetzt, Kraft getankt und mit unbändiger Energie zurückgekommen. Kinderbuch durch Crowd Funding finanziert und selbst geschrieben - einfach so. Weil das Selbstvertrauen dann da war. Und weil es geht.

Break Away: Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Daniela Scholl: Einen Alltag gibt es nicht. Jede Anfrage ist unterschiedlich, so wie jeder Mensch und seine Träume. Anfragen kommen per Telefon, Email oder Postkarte. Dann führe ich ein Vorgespräch, kläre die Wünsche und vor allem auch die Erwartungshaltung an mich ab. Bei Übereinstimmungen der Erwartungen und den Möglichkeiten stimmen wir die gemeinsamen Schritte und meine Leistungen ab. Ich recherchiere viel, das liegt als neugieriger Mensch in meiner Natur, da ich unglaublich gerne Neues lerne oder erfahre.

Break Away: Sehen Sie Ihren Beruf mittlerweile als Berufung an?

Daniela Scholl: Meine Berufung ist leidenschaftliche Neugier. Damit – und mit meinem Drang zum Ausprobieren - mache ich ganz viele verschiedenen Dinge, auch viele ehrenamtliche Projekte.

Break Away: Werden Sie sich in Zukunft auch eine Auszeit nehmen?

Daniela Scholl: Kürze Auszeiten nehme ich regelmäßig. Längere hatte ich schon in der Vergangenheit, zum Beispiel drei Monate mit dem Pkw durch die US. Das war ein Kindheitstraum von mir. Momentan liegt mein Schwerpunkt auf dem Ausprobieren. Mein Fazit der letzten Jahre: Meerjungfrauenschwimmen ist der Knaller, Line Dance ist in Ordnung, Rettungsschwimmen nicht so mein Ding, Trainer sein macht mir keine Freude, da ich den 1:1 Kontakt bevorzuge, Babysitten in Frankreich war super, aber sehr anstrengend. Ich bin 46 und das war die erste intensive Babysitting-Zeit meines Lebens. Auf meiner Bucket List stehen unter anderem noch Zugfahren in Russland, einen Fernwanderweg wandern - ich bin eher der Typ unsportlicher Moppel - und einmal in einem Zirkus mitfahren.



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