Freitag: Letzter Arbeitstag - Samstag: Ab nach Russland!


Stephan Orth war jahrelang Redakteur des Reise-Ressorts bei „Spiegel Online“ – dann hat er gekündigt und ist seitdem als „Couchsurfer“ weltweit unterwegs. Mittlerweile hat er schon drei Bücher über seine „Couchsurfing-Abenteuer“ in China, Russland und dem Iran veröffentlicht. Ein Interview über Reisefieber, schwierige Entscheidungen, Gastfreundlichkeit und Missstände, Freiheit, Engstirnigkeit und warum ihn seine nächste Reise bestimmt nicht in die Toskana führen wird.

Break Away: Deine Leidenschaft für das Schreiben hast du schon sehr früh entdeckt, aber wann hat dich das Reisefieber gepackt?

Autor und Couchsurfer Stephan Orth (c) Stefen Chow
Stephan Orth: In seiner heutigen Ausprägung als wahre Sucht relativ spät: Als ich 25 war, habe ich drei Semester Journalismus in Australien studiert – und bin zwischendurch nach Neuseeland, Fidschi und auf die Cook-Inseln gereist. Dabei habe ich begriffen, wie spannend es ist, auf eigene Faust unterwegs zu sein. Und bis heute hat es mich nicht mehr losgelassen.

Break Away: Von 2008 bis 2016 hast du als Redakteur im Reise-Ressort bei „Spiegel Online“ gearbeitet, bevor du dich als Autor selbstständig gemacht hast. Wie kam diese Entscheidung?

Stephan: Ich habe lange mit mir gerungen, weil das ein toller Job war, mit wunderbaren Kollegen und einem Top-Arbeitgeber. Aber nach dem Erfolg von „Couchsurfing im Iran“ dachte ich: Jetzt oder nie. Mein letzter Arbeitstag war ein Freitag, am Samstag saß ich schon im Flieger nach Russland, um dort mit der Recherche für das zweite Couchsurfing-Buch zu beginnen.

Break Away: Drei deiner Bücher handeln vom Couchsurfing in verschiedenen Ländern. Wie bist du zum Couchsurfing gekommen?

(c) Stefen Chow
Stephan: Vor 18 Jahren habe ich mich auf der Plattform hospitalityclub.org registriert, um Gastgeber zu finden und Reisende zu mir einzuladen. Damit habe ich so tolle Erfahrungen gemacht, dass ich das seitdem auf fast jeder Reise genutzt habe – und später dann Couchsurfing.com, weil die Seite besser gestaltet war.

Break Away: Deine Couchsurfing-Reisen machst du in Ländern,  die nicht als typische Reiseziele bekannt sind: Iran, Russland, China. Warum hast du dich für diese Länder entschieden?

Stephan: In solchen Ländern habe ich das Gefühl, noch Geschichten erzählen zu können, die den Leser wirklich überraschen, die Klischees widersprechen. Gerade, weil ich den Alltag der Menschen schildere und keine Interviews mit „Eliten“ wie Politikern, Experten oder Spitzensportlern mache.

Break Away: Welche Erfahrungen in Russland, China und dem Iran sind dir am meisten in Erinnerung geblieben?

Stephan: Im Iran hat mich immer wieder die unglaubliche Gastfreundlichkeit der Menschen überrascht. Und eine Übernachtung in einem Haus, das 500 Meter von einem Atomkraftwerk entfernt stand, in einem Dorf, das eigentlich seit Jahren aus Sicherheitsgründen evakuiert sein sollte. In Russland waren es drei Tage bei einer Weltuntergangssekte im tiefsten Sibirien. Und in China die Begegnung mit einer regimekritischen Künstlerin, die viel riskiert, um ihre Meinung zu verbreiten und Missstände anzuprangern.

Break Away: Hast du dich durch deine Reisen verändert?

Stephan: Ich habe gelernt, dass die Welt ein freundlicherer Ort ist, als die meisten annehmen. Und ich habe heute weniger Verständnis für manche der Dinge, die in Deutschland zum großen „Aufreger“ werden. Wir meckern hier häufig auf sehr hohem Niveau und könnten zwischendurch auch mal extrem glücklich sein, in einem Land zu leben, in dem vieles funktioniert und in dem so ein lebhafter und freier gesellschaftlicher Diskurs existiert. Zugleich spüre ich aber auch eine schockierende Engstirnigkeit, Provinzialität, Visionslosigkeit und Angst vor Veränderungen.

Break Away: Gab es Momente, in denen du dich nicht sicher gefühlt hast?

Stephan: Die gibt es auf jeder längeren Reise. Bei Verhören auf einer iranischen Polizeiwache oder beim russischen Geheimdienst, bei einem brisanten Gespräch in der chinesischen Unruhe-Provinz Xinjiang. Häufig weiß ich, dass nicht herauskommen sollte, dass ich gerade für ein Buch recherchiere, weil ich dann ernsthafte Schwierigkeiten bekommen könnte.

Couchsurfing in China
Break Away: Warum ist Couchsurfing in manchen Ländern immer noch illegal?

Stephan: Es sind nicht mehr viele Länder, aber häufig gilt die Regel, dass man sich bei der örtlichen Polizei registrieren muss, wenn man privat unterkommt. Da man das aber häufig nicht macht, ist man immer in einer rechtlichen Grauzone unterwegs. Viele Länder wollen nicht, dass ausländische Reisende unterwegs sind, ohne dass ihr Aufenthaltsort aktenkundig ist. Bei Hotelübernachtungen dagegen wird man häufig auch gleich bei den Behörden registriert.

Break Away: Fühlst du dich mittlerweile „freier“ als in der Zeit als Redakteur?

Stephan: Auf jeden Fall. Ich bin mein eigener Chef, komme mehr herum und habe den unfassbaren Luxus, mir meine Projekte selber aussuchen zu können. Natürlich muss ich vor einem neuen Projekt auch den Buchverlag überzeugen, aber bislang gab es noch kein Veto.

Break Away: Hast du dir bereits ein neues Land für deine Couchsurfing-Abenteuer gesucht?

Stephan: Ich habe eine Liste mit etwa 15 Ländern, die es werden könnten. Entschieden ist noch nichts, aber ganz bestimmt wird es nicht Gran Canaria oder die Toskana werden.




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